Ein Leichenwagen und seine Erlebnisse

Kategorie: Reisen (Seite 2 von 25)

Reiseberichte außerhalb von Friedhöfen

1.500 Meilen – zwei Leichenwagen – 12 Tage

(3) Die Anreise – zweiter Tag

Wir befanden uns immer noch auf der Anreise zu unserem ersten Hauptziel – das Plastinarium in Guben und der Veranstaltung von Anja:

Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. V – 20. August 2022

Von Torgau aus ging es nun durch den Spreewald nach Guben. Schließlich wollten wir nicht nur stupide mit Tempo 100 über die Autobahn fahren, sondern auch etwas vom “Osten” sehen.

Besonders aufgefallen ist mir hier der Geruch der scheinbar endlosen Kieferwälder, die sich kilometerlang hinzogen. Monokulturen ohne viel Unterholz und Grün. Kein Wunder, dass sich hier Waldbrände so rapide ausbreiten konnten.

Natürlich hatte ich auch wieder einen Zwischenstopp eingeplant, etwa eine halbe Stunde vor Guben:

Parkplatz Jamlitz
Zwischenstopp bei Jamlitz

Der Weg zu diesem Zwischenstopp führte zwischen kleinen Häusern zu einem Waldrand, wir meinten fast, uns verfahren zu haben.

Das KZ Lieberose

1944 wurde dieses Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet, Schätzungen gehen von bis zu 10.000 Menschen aus 12 europäischen Ländern aus, die in diesem Lager inhaftiert waren. Von Ihnen überlebten vermutlich weniger als 400.

KZ Lieberose
Speziallager Nr. 6

Speziallager Nr. 6

Nach 1945 wurde das Gelände zum Speziallager Nr. 6 des sowjetischen Geheimdienstes NKWD – auch hier wurden rund 10.300 Menschen inhaftiert, von denen in zwei Jahren laut der russischen Totenlisten 3.380 umgekommen sind, andere Schätzungen gehen von etwa 5.000 Toten aus.

Einer der bekanntesten Inhaftierten war Gustav Gründgens.

1947 wurde dieses Lager aufgelöst und auf dem Gelände wurden kleinere Wohnhäuser errichtet.

Ich denke, es gibt kaum einen Ort, der die barbarischen Machenschaften von totalitären Regimen zeigt, wie diesen. Eine „Spielwiese“ der Bestie Mensch, beschämend und erschreckend zugleich.

Gedenken

Der Todesmarsch der KZ Häftlinge

(Die nachfolgenden kursiven Texte stammen von den Tafeln an der Gedenkstätte)

…Am 31. Januar 1945 erhielt die Führung des KZ-Außenlagers Lieberose den Befehl zur Evakuierung des Lagers. Wer nicht marschieren konnte, sollte ermordet werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 3500 Häftlinge im Lager.

Zunächst ließ die SS rund 700 Häftlinge in Güterwaggons nach Sachsenhausen zur Vernichtung abtransportieren. Für etwa 1600 Häftlinge begann am Vormittag des 2. Februar 1945 der Todesmarsch nach Sachsenhausen….

…Die Häftlinge marschierten täglich bis zu 30 Kilometer. Am 9. Februar erreichten sie das KZ-Außenlager Falkensee. Von dort brachte die SS sie in den nächsten Tagen in Lastwagen und mit der S-Bahn in das Hauptlager nach Sachsenhausen, wo man insgesamt 1342 Häftlinge als Zugänge aus Lieberose registrierte, davon 1185 Juden. Etwa 250 Häftlinge überlebten den Todesmarsch von Lieberose nicht. Weitere 400 tötete die SS in der Station Z. Der größte Teil der Häftlinge aus Lieberose kam noch im Februar 1945 auf Transport in das KZ Mauthausen….

…Unmittelbar nach dem Abmarsch der Häftlingskolonne, begannen SS-Angehörige die etwa 1200 im Lager verbliebenen kranken und für den Marsch als zu schwach befundenen Häftlinge zu ermorden. Die Erschießungsaktion fand bei den Schonungsblocks und der Revierbaracke statt. Die Täter schossen mit Maschinengewehren auf die Häftlinge, die um die Baracken getrieben wurden. Andere wurden durch gezielte Genickschüsse getötet…

…Eine Kiesgrube bei Staakow wurde zum Massengrab für 589 Leichen. Ein Kommando von Häftlingen musste die Leichen auf- und abladen. Anschließend wurden sie als unerwünschte Zeugen ebenfalls ermordet….

Eine Geste der Erinnerung

Da wir das KZ Sachsenhausen ebenfalls noch besuchen wollten, entschloß ich mich spontan einen Stein von hier mitzunehmen und dort niederzulegen.

Auch ein Stück deutsche Geschichte

…Über die sowjetischen Lager zu sprechen, war in der SBZ/DDR ein Tabu; auch die Uberlebenden mussten schweigen. Offiziell wurden die Speziallager in Ostdeutschland als Umerziehungslager für NS-Verbrecher gerechtfertigt. Während in Westdeutschland Opferverbände entstanden, die die Speziallager als rote Konzentrationslager bekannt machten, erwähnten erstmals 1957 zwei Jamlitzer Bürger das Internierungslager in einer Publikation. Ein offizielles Erinnern und Trauern um die Toten aber war erst mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten möglich. Überlebende wiesen 1990 auf die Lage der Massengräber hin, wodurch im April 1990 erstmals ein Massengrab geöffnet und die gefundenen Gebeine exhumiert werden konnten….

AzraelsReisen steht auch für #gegendasvergessen und #niewieder

Bewegt und erschüttert verliesen wir diesen Ort des Grauens.

1.500 Meilen – zwei Leichenwagen – 12 Tage

(2) Die Anreise – zweiter Tag

Immer noch beeindruckt von Buchenwald fuhren wir weiter zu unserem heutigen Tagesziel – Leipzig.

Bergbau-Technik-Park

Wer sich über die A38 Leipzig nähert, wird dieses Bild kennen. Rund um Leipzig wurde lange Zeit Kohle im Tagebau abgebaut.

Heute sind eine Vielzahl der Gruben renaturiert und mit Wasser gefüllt, dienen so als Naherholungsgebiet.

Für mich ist dieser „Absetzer“ ein Zeichen, dass ich bald angekommen bin – ist ein kleines bisschen wie „heimkommen“ – ihr kennt sicher solche Landmarken, bei denen Ihr wisst, das es nicht mehr lange „nach Hause“ ist.

Scheibe defekt?

Fast hätte uns die Lady Leiche schon am ersten Tag einen Strich durch die Reiseplanung gemacht. Die Elektrik zeigte leider immer wieder unerklärliche Aussetzer, meist in Verbindung mit dem Fußschalter zur Steuerung des Fern- bzw. Abblendlichtes.

Dies führte auch dazu, dass die Innenbeleuchtung und die elektrischen Fensterheber zeitweise nicht funktionierten.

Das es angefangen hatte zu Regnen, musste also eine Abdeckung für das geöffnete Fenster her und damit Niemand die Tür öffnen konnte, wurde Azrael press an die Dame geparkt.

Image a trois

Ein weiterer Engel…

Da wir in diesem Zustand nicht weiterfahren wollten, holten wir neben Azrael einen weiteren Engel.

Wie es natürlich in solchen Momenten üblich ist, zeigte sich die Dame von Ihrer besten Seite und funktionierte einwandfrei…

Zumindest konnten wir die Ursache etwas eingrenzen – ein Massefehler an einem der Hauptkabel in Verbindung mit dem Licht kam als Verursacher in Frage.

So entschlossen wir uns, die Reise fortzusetzen – mit der Einschränkung, eben dieses Licht nicht zu betätigen und nur Tagsüber zu fahren.

Und weiter nach Guben

So starteten wir in den zweiten Tag mit etwas Verspätung. Die heutige Route sollte jedoch nur 3 Stunden dauern (ca. 220 km), so dass wir noch ein, zwei Zwischenstopps eingeplant hatten.

Schloss Hartenfels

Der erste Zwischenstopp war in Torgau geplant. Das dortige Schloss könnte ja als Hintergrundkulisse für ein Shooting dienen…

Vor Ort zeigte sich, dass es zwar grundsätzlich möglich war, Azrael vor der Kulisse des Schlosses zu platzieren. Aufgrund der Unübersichtlichkeit der Stelle entschied ich mich jedoch dagegen.

Torgau

Am 25. April 1945 trafen sich sowjetische und US-amerikanische Truppen hier an der Elbe. Dieser Tag wird heute als „Elbe Day“ gefeiert.

Bei unserem kurzen Spaziergang am Schloss entdeckten wir dann auch das sowjetische Denkmal anlässlich des Zusammentreffens.

Denkmal am Schloss

Beim Lesen dieser Zeilen überkam mich ein fader Beigeschmack.

Ich bin hier etwas Zwiegespalten, ob solche Denkmäler insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine Bestand haben sollten – andererseits ist dies ein Stück Geschichte – deutsche Geschichte.

Wäre es nicht fast so, als ob man Bücher verbrennen würde?

Leider gibt es heutzutage meist keine sachliche Diskussion über den Umgang mit Geschichte und Ihren Hinterlassenschaften – meist gibt es nur ein Schwarz oder Weiß und es kommt einem so vor, als ginge es nicht um die Sache, sondern nur darum, wer Recht hat.

Wir haben heute in unserer Demokratie so viele Möglichkeiten, Aussagen auf Ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wir sind frei, Behauptungen zu Hinterfragen, uns unsere eigne Meinung zu bilden und unseren eigenen Standpunkt jederzeit zu prüfen.

AzraelsReisen steht auch für #gegendasvergessen und #niewieder

1.500 Meilen – zwei Leichenwagen – 12 Tage

(1) Die Anreise

Irgendwie befanden wir uns eigentlich immer auf Anreise irgendwohin.

Denn Grund für diese Mammut-Tour war einerseits eine Veranstaltung der Friedhofsflüsterin Anja Kretschmer – Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. V – am 20. August im Plastinarium in Guben.

Unsere beiden „Leichen“ am Start

An dieser Veranstaltung nehmen regelmäßig die „Schwarzfahrer“ mit Ihren Wagen teil, gehört doch Anja mit Ihrer „Leiche“ auch zu uns und wir haben die Möglichkeit unser Fahrzeuge zu präsentieren.

Schließlich geht es uns auch um den Erhalt der Bestattungskultur in Deutschland, zu denen die „klassischen“ Leichenwagen einfach dazugehören – man könnte auch sagen:

Sprinter? – Nein Danke!

Und andererseits das alljährlich an anderen Orten stattfindende Leichenwagentreffen, eine Woche später, diesmal in Rostock.

Was lag also näher, als diese beiden Termine mit einer Rundreise durch den Osten Deutschlands zu verbinden – wobei sich irgendwie zwischen diesen beiden Wochenenden rund 10 Leichenwagen auf einer solchen Rundreise befanden. 😉

Da wir zu zweit, aber mit zwei Fahrzeugen unterwegs waren, konnten wir diesmal Azrael als „Lastesel“ benutzen und unser Wohn-Schlaf-Zimmer in der Lady Leiche einrichten.

Ein Kindersarg?

Ja, Ihr seht richtig – ich hatte mich entschlossen, den Sarg ebenfalls mit auf die Reise zu nehmen. Zwar nicht so offensichtlich, wie hier auf dem Bild, aber er war dabei.

Es sollte einfach so sein…

Marcel ist auch dabei

Da wir mit der Lady Leiche nicht zu lange Strecken fahren wollten, entschlossen wir uns, die Anreise nach Guben (rund 670 km) auf zwei Tage aufzuteilen.

Leipzig bot sich aus mehreren Gründen für uns als Zwischenstopp an, so dass die erste Ettape von Frankfurt nach Leipzig führte.

Auf meinen früheren Fahrten nach Leipzig ist mir immer das große Denkmal am KZ Buchenwald aufgefallen und diesen Ort wollte ich immer mal besuchen.

Was lag da näher als dies auf der Anreise zu tun?

KZ Buchenwald

Auf dem Parkplatz vor dem KZ

Alleine die Anfahrt auf der „Blutstraße“ – eine 1938/39 von Häftlingen erbaute 5 km lange Zufahrt durch den Wald zum KZ – machte uns nachdenklich.

War es eine Gute Idee ausgerechnet mit zwei Leichenwagen ein KZ zu besuchen, in dem über 56.000 Menschen ermordet wurden?

Nur aufgrund Ihrer Religion, Ihrer politischen Gesinnung, Ihrer sexuellen Identität, Ihrer Herkunft, Ihrer was auch immer?

JA – denn AzraelsReisen steht auch für #gegendasvergessen und #niewieder

Und letztlich sind wir im Tod alle gleich…

Die schiere Größe der Anlage zeigte uns deutlich vor Augen, dass es bei diesem Kurzbesuch nicht bleiben durfte und wird.

Dies ist kein Ort „im Vorbeigehen“ und wir werden auf jeden Fall wieder hierher zurückkehren – diesmal für mindestens einen ganzen Tag.

Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Bild, ein Raum, gefüllt mit 701 Metallurnen.

Der „Urnen-Raum“

Diese Urnen wurden 1997 während Renovierungsarbeiten auf dem Dachboden des Krematoriums gefunden und enthielten noch die Asche von Verstorbenen. Die Asche wurde dann später bei einer Trauerfeier bestattet.

Wer glaubt, dass sich in jeder Urne die Asche eines Menschen befand, unterliegt einem Irrglaube. In der Regel wurde die Asche wahllos auf mehrere Urnen verteilt bzw. War die Asche von mehreren Menschen auf einem Haufen.

Es schnürte uns die Kehle zu.

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