Ein Leichenwagen und seine Erlebnisse

Kategorie: GT2022 (Seite 1 von 2)

1.500 Meilen – zwei Leichenwagen – 12 Tage

(4) Blech trifft Plastik

Eingang zum Plastinarium
Der Eingangsbereich zum Plastinarium in Guben

Endlich hatten wir unser erstes Hauptziel erreicht! Gunther von Hagens Plastinarium in Guben, direkt an der polnischen Grenze.

Wer kennt Sie nicht, die Schlagzeilen ĂŒber die weltweit bekannten Ausstellungen unter dem Begriff Körperwelten (Bodyworlds) und die Diskussionen darĂŒber.

Dort sollte an diesem Samstag (20. August 2022) die Veranstaltung „Scientia mortuorum – von der Wissenschaft der Toten„, veranstaltet von der FriedhofsflĂŒsterin Anja Kretschmer, stattfinden.

Teil dieser Veranstaltung ist mittlerweile auch eine Ausstellung von Bestattungsfahrzeugen, so dass sich bundesweit Schwarzfahrer auf die Reise nach Guben begeben hatten.

Parken nur fĂŒr Bestattungsfahrzeuge

Leichentreff am Plastinarium
Die Schwarzfahrer treffen in Guben ein

Im Laufe des Freitags trudelten immer mehr Teilnehmer ein, so dass der Parkplatz in der NĂ€he bald vollstĂ€ndig in Beschlag genommen wurde. In gemĂŒtlicher Runde wurde dann das gemeinsame Wiedersehen gefeiert.

Bitte nicht fĂŒttern!
Azrael und die Lady Leiche auf Ihren (Schlaf-)plÀtzen

Bitte begeben Sie sich auf Ihre PlÀtze

Da sich auf dem GelÀnde viele Chemikalien befinden, durften wir erst direkt am Samstag auf das GelÀnde des Plastinariums einfahren.

Die Einfahrt auf das GelĂ€nde fĂŒhrte um viele alte BacksteingebĂ€ude herum, alles GebĂ€ude einer ehemaligen Hutfabrik in Guben. Fast ein kleiner Irrgarten, unweit der Neise.

PrÀsentation der Fahrzeuge
Die Leichenwagen im Innenhof des Plastinariums

Aufgrund der Enge des GelĂ€ndes entschlossen wir uns kurzfristig die Lady Leiche draußen zu lassen, selbstverstĂ€ndlich hatten wir einen angemessenen Platz fĂŒr Sie gefunden:

Stilvoller Parkplatz
Die Lady Leiche bei der Anlieferung 😉

Die Kulisse des Plastinariums war der richtige Rahmen fĂŒr eine solche Veranstaltung. Überall verwinkelte Backsteinbauten, alleine die Architektur des FirmengelĂ€ndes war die Reise wert.

Vortragsraum im Plastinarium
Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. V

Die Körperwelten

Neben den VortrĂ€gen blieb genĂŒgend Zeit, das Plastinarium zu erkunden, sich die umfangreichen AusstellungsstĂŒcke anzuschauen und den PrĂ€paratoren bei ihrer diffizilen Arbeit ĂŒber die Schulter zu schauen.

Auf rund 3.000 qm sind die unterschiedlichsten Exponate zu sehen. Beeindruckend, informativ und ansprechend erhÀlt man nicht nur einen Blick in das Innere des menschlichen Körpers, sondern erfÀhrt auch wissenwertes.

Ein ganz besonderer Gruß und Dank an dieser Stelle an die MitarbeiterInnen – stets freundlich und hilfsbereit wurden alle Fragen kompetent beantwortet.

Leider fing es Mittags an dauerhaft zu regnen, so dass die geplante PrĂ€sentation der Leichenwagen buchstĂ€blich ins Wasser fiel. Lediglich zum Ende der Veranstaltung konnte die Ausfahrt mit einer kleinen Rundfahrt durch Guben einigermaßen trocken erfolgen.

Doch das abwechslungsreiche Programm der Veranstaltung mit BeitrĂ€gen u.a. von Sophie Schöntod (Thanatolgie) oder Death Comedy vom TOD himself und die Ausstellungen von Art of the dark, Absurd Arts und Keepmoments boten genĂŒgend Ablenkung vom Wetter.

Feuerwehrbestattungsfahrzeug
Ein umgebauter Opel Blitz als Leichenwagen fĂŒr Beerdigungen von Angehörigen der Feuerwehr

Mehr Infos gibt es bei Anja Kretschmer:

https://www.anja-kretschmer.de/scientia-mortuorum-von-der-wissenschaft-der-toten

Vielen Dank an dieser Stelle auch an Rurik von Hagens fĂŒr die Betreuung. Der Besuch des Plastinarium ist wirklich zu empfehlen, Infos:

https://www.plastinarium.de/

Alle kamen am Abend nochmal auf dem Parkplatz zusammen und ließen die EindrĂŒcke des Tages Revue passieren, bevor es am nĂ€chsten Morgen dann weiter ging.

Die nĂ€chste Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. VI findet am 24. August 2024 statt, der Veranstaltungsort ist noch nicht bekannt.

(Anmerkung: Es ist zwar gestattet, Aufnahmen im Plastinarium zu privaten Zwecken zu machen, ich habe aber bewusst darauf verzichtet, diese hier zu posten. Die von mir platzieren Links sind „unpaid ad – unbezahlte Werbung“

1.500 Meilen – zwei Leichenwagen – 12 Tage

(3) Die Anreise – zweiter Tag

Wir befanden uns immer noch auf der Anreise zu unserem ersten Hauptziel – das Plastinarium in Guben und der Veranstaltung von Anja:

Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. V – 20. August 2022

Von Torgau aus ging es nun durch den Spreewald nach Guben. Schließlich wollten wir nicht nur stupide mit Tempo 100 ĂŒber die Autobahn fahren, sondern auch etwas vom „Osten“ sehen.

Besonders aufgefallen ist mir hier der Geruch der scheinbar endlosen KieferwĂ€lder, die sich kilometerlang hinzogen. Monokulturen ohne viel Unterholz und GrĂŒn. Kein Wunder, dass sich hier WaldbrĂ€nde so rapide ausbreiten konnten.

NatĂŒrlich hatte ich auch wieder einen Zwischenstopp eingeplant, etwa eine halbe Stunde vor Guben:

Parkplatz Jamlitz
Zwischenstopp bei Jamlitz

Der Weg zu diesem Zwischenstopp fĂŒhrte zwischen kleinen HĂ€usern zu einem Waldrand, wir meinten fast, uns verfahren zu haben.

Das KZ Lieberose

1944 wurde dieses Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet, SchĂ€tzungen gehen von bis zu 10.000 Menschen aus 12 europĂ€ischen LĂ€ndern aus, die in diesem Lager inhaftiert waren. Von Ihnen ĂŒberlebten vermutlich weniger als 400.

KZ Lieberose
Speziallager Nr. 6

Speziallager Nr. 6

Nach 1945 wurde das GelĂ€nde zum Speziallager Nr. 6 des sowjetischen Geheimdienstes NKWD – auch hier wurden rund 10.300 Menschen inhaftiert, von denen in zwei Jahren laut der russischen Totenlisten 3.380 umgekommen sind, andere SchĂ€tzungen gehen von etwa 5.000 Toten aus.

Einer der bekanntesten Inhaftierten war Gustav GrĂŒndgens.

1947 wurde dieses Lager aufgelöst und auf dem GelÀnde wurden kleinere WohnhÀuser errichtet.

Ich denke, es gibt kaum einen Ort, der die barbarischen Machenschaften von totalitĂ€ren Regimen zeigt, wie diesen. Eine „Spielwiese“ der Bestie Mensch, beschĂ€mend und erschreckend zugleich.

Gedenken

Der Todesmarsch der KZ HĂ€ftlinge

(Die nachfolgenden kursiven Texte stammen von den Tafeln an der GedenkstÀtte)


Am 31. Januar 1945 erhielt die FĂŒhrung des KZ-Außenlagers Lieberose den Befehl zur Evakuierung des Lagers. Wer nicht marschieren konnte, sollte ermordet werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 3500 HĂ€ftlinge im Lager.

ZunĂ€chst ließ die SS rund 700 HĂ€ftlinge in GĂŒterwaggons nach Sachsenhausen zur Vernichtung abtransportieren. FĂŒr etwa 1600 HĂ€ftlinge begann am Vormittag des 2. Februar 1945 der Todesmarsch nach Sachsenhausen
.


Die HĂ€ftlinge marschierten tĂ€glich bis zu 30 Kilometer. Am 9. Februar erreichten sie das KZ-Außenlager Falkensee. Von dort brachte die SS sie in den nĂ€chsten Tagen in Lastwagen und mit der S-Bahn in das Hauptlager nach Sachsenhausen, wo man insgesamt 1342 HĂ€ftlinge als ZugĂ€nge aus Lieberose registrierte, davon 1185 Juden. Etwa 250 HĂ€ftlinge ĂŒberlebten den Todesmarsch von Lieberose nicht. Weitere 400 tötete die SS in der Station Z. Der grĂ¶ĂŸte Teil der HĂ€ftlinge aus Lieberose kam noch im Februar 1945 auf Transport in das KZ Mauthausen
.


Unmittelbar nach dem Abmarsch der HĂ€ftlingskolonne, begannen SS-Angehörige die etwa 1200 im Lager verbliebenen kranken und fĂŒr den Marsch als zu schwach befundenen HĂ€ftlinge zu ermorden. Die Erschießungsaktion fand bei den Schonungsblocks und der Revierbaracke statt. Die TĂ€ter schossen mit Maschinengewehren auf die HĂ€ftlinge, die um die Baracken getrieben wurden. Andere wurden durch gezielte GenickschĂŒsse getötet



Eine Kiesgrube bei Staakow wurde zum Massengrab fĂŒr 589 Leichen. Ein Kommando von HĂ€ftlingen musste die Leichen auf- und abladen. Anschließend wurden sie als unerwĂŒnschte Zeugen ebenfalls ermordet
.

Eine Geste der Erinnerung

Da wir das KZ Sachsenhausen ebenfalls noch besuchen wollten, entschloß ich mich spontan einen Stein von hier mitzunehmen und dort niederzulegen.

Auch ein StĂŒck deutsche Geschichte


Über die sowjetischen Lager zu sprechen, war in der SBZ/DDR ein Tabu; auch die Uberlebenden mussten schweigen. Offiziell wurden die Speziallager in Ostdeutschland als Umerziehungslager fĂŒr NS-Verbrecher gerechtfertigt. WĂ€hrend in Westdeutschland OpferverbĂ€nde entstanden, die die Speziallager als rote Konzentrationslager bekannt machten, erwĂ€hnten erstmals 1957 zwei Jamlitzer BĂŒrger das Internierungslager in einer Publikation. Ein offizielles Erinnern und Trauern um die Toten aber war erst mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten möglich. Überlebende wiesen 1990 auf die Lage der MassengrĂ€ber hin, wodurch im April 1990 erstmals ein Massengrab geöffnet und die gefundenen Gebeine exhumiert werden konnten
.

AzraelsReisen steht auch fĂŒr #gegendasvergessen und #niewieder

Bewegt und erschĂŒttert verliesen wir diesen Ort des Grauens.

1.500 Meilen – zwei Leichenwagen – 12 Tage

(2) Die Anreise – zweiter Tag

Immer noch beeindruckt von Buchenwald fuhren wir weiter zu unserem heutigen Tagesziel – Leipzig.

Bergbau-Technik-Park

Wer sich ĂŒber die A38 Leipzig nĂ€hert, wird dieses Bild kennen. Rund um Leipzig wurde lange Zeit Kohle im Tagebau abgebaut.

Heute sind eine Vielzahl der Gruben renaturiert und mit Wasser gefĂŒllt, dienen so als Naherholungsgebiet.

FĂŒr mich ist dieser „Absetzer“ ein Zeichen, dass ich bald angekommen bin – ist ein kleines bisschen wie „heimkommen“ – ihr kennt sicher solche Landmarken, bei denen Ihr wisst, das es nicht mehr lange „nach Hause“ ist.

Scheibe defekt?

Fast hĂ€tte uns die Lady Leiche schon am ersten Tag einen Strich durch die Reiseplanung gemacht. Die Elektrik zeigte leider immer wieder unerklĂ€rliche Aussetzer, meist in Verbindung mit dem Fußschalter zur Steuerung des Fern- bzw. Abblendlichtes.

Dies fĂŒhrte auch dazu, dass die Innenbeleuchtung und die elektrischen Fensterheber zeitweise nicht funktionierten.

Das es angefangen hatte zu Regnen, musste also eine Abdeckung fĂŒr das geöffnete Fenster her und damit Niemand die TĂŒr öffnen konnte, wurde Azrael press an die Dame geparkt.

Image a trois

Ein weiterer Engel


Da wir in diesem Zustand nicht weiterfahren wollten, holten wir neben Azrael einen weiteren Engel.

Wie es natĂŒrlich in solchen Momenten ĂŒblich ist, zeigte sich die Dame von Ihrer besten Seite und funktionierte einwandfrei


Zumindest konnten wir die Ursache etwas eingrenzen – ein Massefehler an einem der Hauptkabel in Verbindung mit dem Licht kam als Verursacher in Frage.

So entschlossen wir uns, die Reise fortzusetzen – mit der EinschrĂ€nkung, eben dieses Licht nicht zu betĂ€tigen und nur TagsĂŒber zu fahren.

Und weiter nach Guben

So starteten wir in den zweiten Tag mit etwas VerspÀtung. Die heutige Route sollte jedoch nur 3 Stunden dauern (ca. 220 km), so dass wir noch ein, zwei Zwischenstopps eingeplant hatten.

Schloss Hartenfels

Der erste Zwischenstopp war in Torgau geplant. Das dortige Schloss könnte ja als Hintergrundkulisse fĂŒr ein Shooting dienen


Vor Ort zeigte sich, dass es zwar grundsĂ€tzlich möglich war, Azrael vor der Kulisse des Schlosses zu platzieren. Aufgrund der UnĂŒbersichtlichkeit der Stelle entschied ich mich jedoch dagegen.

Torgau

Am 25. April 1945 trafen sich sowjetische und US-amerikanische Truppen hier an der Elbe. Dieser Tag wird heute als „Elbe Day“ gefeiert.

Bei unserem kurzen Spaziergang am Schloss entdeckten wir dann auch das sowjetische Denkmal anlÀsslich des Zusammentreffens.

Denkmal am Schloss

Beim Lesen dieser Zeilen ĂŒberkam mich ein fader Beigeschmack.

Ich bin hier etwas Zwiegespalten, ob solche DenkmĂ€ler insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine Bestand haben sollten – andererseits ist dies ein StĂŒck Geschichte – deutsche Geschichte.

WĂ€re es nicht fast so, als ob man BĂŒcher verbrennen wĂŒrde?

Leider gibt es heutzutage meist keine sachliche Diskussion ĂŒber den Umgang mit Geschichte und Ihren Hinterlassenschaften – meist gibt es nur ein Schwarz oder Weiß und es kommt einem so vor, als ginge es nicht um die Sache, sondern nur darum, wer Recht hat.

Wir haben heute in unserer Demokratie so viele Möglichkeiten, Aussagen auf Ihren Wahrheitsgehalt zu prĂŒfen. Wir sind frei, Behauptungen zu Hinterfragen, uns unsere eigne Meinung zu bilden und unseren eigenen Standpunkt jederzeit zu prĂŒfen.

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