Dünnhäutig
Dieses Jahr ist die Trauer wieder ganz nah, eine dünne Schicht liegt zwischen mir und dieser überbordenden Gefühlswelt, die mich droht in einem Sog zu verschlingen.
Warum ist das so? frage ich mich und gehe, typisch männlich, sofort in die Analyse.
Das lenkt ab, das schützt mich, damit kann ich eine Schutzblase um mich bilden, in der ich nicht jeden Moment damit rechnen muss, das diese Gefühle aus meinen Augen quellen und langsam als nasse, salzige Tränen an meinen Wangen herunterrinnen.
In Trauer baden
Ja, dieses Jahr ist es „schlimmer“, doch es ist gut so!
Schließlich sind 25 Jahre eine verdammt lange Zeit. 25 Jahre sind seit damals vergangen und morgen ist es soweit…
Morgen wäre er – NEIN – IST er 25 Jahre alt!
25 Jahre, in denen die Trauer immer da war, diese Fragen, was wäre gewesen wenn…
Und doch ist es diesmal anders – ich WILL in Trauer baden, ich lasse die Trauer zu, ich lebe mit und in ihr!
Ich weiß nicht, wie ich den heutigen Abend verbringen werde oder was ich morgen tun werde – sicher gehe ich ans Grab, doch das ist kein „Muss“, es ist ein „Kann“, ein „Wollen“.
Wahrscheinlich werde ich ein Glas Whisky auf und wer weiß, mit Ihm trinken – vielleicht gehe ich heute Nacht auf den Friedhof und erhebe um 12 Uhr das Glas an seinem Grab…
Ich werde eine Kerze anzünden, ein Licht in dunkler Nacht.
Komm großer schwarzer Vogel
Auf jeden Fall werde ich Musik hören:
You’ll never walk alone & Steh auf, wenn du am Boden bist
von den Toten Hosen.
Laut, richtig laut und noch etwas werde ich hören:
Ja, i werd‘ singen,
I werd‘ lachen,
I werd‘ „des gibt’s net“ schrei’n
I werd‘ endlich kapier’n
I werd‘ endlich glücklich sein!I werd‘ singen
aus „Komm großer schwarzer Vogel „von Ludwig Hirsch
I werd‘ lachen
I werd‘ „des gibt’s net“ schrei’n
I werd endlich kapier’n
I werd‘ endlich glücklich sein!
Ich habe meinen Frieden mit Ihm geschlossen und ich habe meine Trauer akzeptiert – deswegen werde ich Feiern und Traurig sein – in einem Moment.
Denn ich Liebe Ihn, meinen Sohn, den ich vor 25 Jahren das erste Mal in den Armen halten durfte, nur um ihn gleich darauf wieder hergeben zu müssen.
Ich werde Trauern, mit Liebe im Herzen.
Und es ist gut so.
An all jene, die sich Fragen, ob es denn irgendwann mal „genug“ sein wird:
Nein, wird es nicht!
Es wird anders, es wird irgendwann nicht mehr so präsent sein, es wird jedoch immer da sein – egal wieviel Zeit vergangen ist.
Und das ist OK, Eure Trauer ist OK, lasst Sie zu, lebt Sie aus, lebt mit Ihr!
Wie denkst Du darüber?