Vergangenes Wochenende war ich mit Azrael wieder im Norden unterwegs.
Und wie immer, wenn ich etwas plane, denke ich immer darüber nach, welche Wirkung meine „Guerilla-Shootings“ auf andere Menschen haben werden.
Schließlich konfrontiere ich sie mit Azrael und so diversen anderen Utensilien mit Ihrer Vergänglichkeit und mit dem Thema Tod.
So wie hier am Strand von Cuxhaven:
Na gut – es gibt auf unserem Planeten mittlerweile genug Kuriositäten, da macht dieser Herr auf dem Laufsteg der Eitelkeiten echt nicht mehr viel Aufsehen…
Doch was wäre gewesen, wenn ich diesen Sarg mitten ins Watt gestellt hätte, anstatt so wie hier auf eine grüne Wiese:
Hier oben war Niemand weit und breit zu sehen, aber am Strand – inmitten von Touristen in Badebekleidung?
Da gibt es keine Sträucher, kein hohes Gras, kein Gebüsch.
Was hält mich davon zurück, den Sarg nicht einfach inmitten einer Fußgängerzone abzulichten oder auf einer Verkehrsinsel mitten auf einer Kreuzung?
Schließlich findet man dort zum Beispiel auch weiße Fahrräder als Mahnmale für getötete Fahrradfahrer.
Wäre das Morbide? Respektlos?
Oder ist es Kunst – die ja bekanntlich (fast) alles darf?
Eine Kunstinstallation im öffentlichen Raum. So vergänglich, wie das Leben – ein Hauch des Todes im hektischen Alltag.
Für mich ist es alles und nichts davon und gleichzeitig Ausdruck meiner Trauer, zum Teil ein Stück Verarbeitung und noch so viel mehr.
Und eines steht fest – dies war mit Sicherheit nicht das letzte Mal.
Wir befanden uns immer noch auf der Anreise zu unserem ersten Hauptziel – das Plastinarium in Guben und der Veranstaltung von Anja:
Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. V – 20. August 2022
Von Torgau aus ging es nun durch den Spreewald nach Guben. Schließlich wollten wir nicht nur stupide mit Tempo 100 über die Autobahn fahren, sondern auch etwas vom „Osten“ sehen.
Besonders aufgefallen ist mir hier der Geruch der scheinbar endlosen Kieferwälder, die sich kilometerlang hinzogen. Monokulturen ohne viel Unterholz und Grün. Kein Wunder, dass sich hier Waldbrände so rapide ausbreiten konnten.
Natürlich hatte ich auch wieder einen Zwischenstopp eingeplant, etwa eine halbe Stunde vor Guben:
Der Weg zu diesem Zwischenstopp führte zwischen kleinen Häusern zu einem Waldrand, wir meinten fast, uns verfahren zu haben.
Das KZ Lieberose
1944 wurde dieses Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet, Schätzungen gehen von bis zu 10.000 Menschen aus 12 europäischen Ländern aus, die in diesem Lager inhaftiert waren. Von Ihnen überlebten vermutlich weniger als 400.
Speziallager Nr. 6
Nach 1945 wurde das Gelände zum Speziallager Nr. 6 des sowjetischen Geheimdienstes NKWD – auch hier wurden rund 10.300 Menschen inhaftiert, von denen in zwei Jahren laut der russischen Totenlisten 3.380 umgekommen sind, andere Schätzungen gehen von etwa 5.000 Toten aus.
Einer der bekanntesten Inhaftierten war Gustav Gründgens.
1947 wurde dieses Lager aufgelöst und auf dem Gelände wurden kleinere Wohnhäuser errichtet.
Ich denke, es gibt kaum einen Ort, der die barbarischen Machenschaften von totalitären Regimen zeigt, wie diesen. Eine „Spielwiese“ der Bestie Mensch, beschämend und erschreckend zugleich.
Der Todesmarsch der KZ Häftlinge
(Die nachfolgenden kursiven Texte stammen von den Tafeln an der Gedenkstätte)
…Am 31. Januar 1945 erhielt die Führung des KZ-Außenlagers Lieberose den Befehl zur Evakuierung des Lagers. Wer nicht marschieren konnte, sollte ermordet werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 3500 Häftlinge im Lager.
Zunächst ließ die SS rund 700 Häftlinge in Güterwaggons nach Sachsenhausen zur Vernichtung abtransportieren. Für etwa 1600 Häftlinge begann am Vormittag des 2. Februar 1945 der Todesmarsch nach Sachsenhausen….
…Die Häftlinge marschierten täglich bis zu 30 Kilometer. Am 9. Februar erreichten sie das KZ-Außenlager Falkensee. Von dort brachte die SS sie in den nächsten Tagen in Lastwagen und mit der S-Bahn in das Hauptlager nach Sachsenhausen, wo man insgesamt 1342 Häftlinge als Zugänge aus Lieberose registrierte, davon 1185 Juden. Etwa 250 Häftlinge überlebten den Todesmarsch von Lieberose nicht. Weitere 400 tötete die SS in der Station Z. Der größte Teil der Häftlinge aus Lieberose kam noch im Februar 1945 auf Transport in das KZ Mauthausen….
…Unmittelbar nach dem Abmarsch der Häftlingskolonne, begannen SS-Angehörige die etwa 1200 im Lager verbliebenen kranken und für den Marsch als zu schwach befundenen Häftlinge zu ermorden. Die Erschießungsaktion fand bei den Schonungsblocks und der Revierbaracke statt. Die Täter schossen mit Maschinengewehren auf die Häftlinge, die um die Baracken getrieben wurden. Andere wurden durch gezielte Genickschüsse getötet…
…Eine Kiesgrube bei Staakow wurde zum Massengrab für 589 Leichen. Ein Kommando von Häftlingen musste die Leichen auf- und abladen. Anschließend wurden sie als unerwünschte Zeugen ebenfalls ermordet….
Da wir das KZ Sachsenhausen ebenfalls noch besuchen wollten, entschloß ich mich spontan einen Stein von hier mitzunehmen und dort niederzulegen.
Auch ein Stück deutsche Geschichte
…Über die sowjetischen Lager zu sprechen, war in der SBZ/DDR ein Tabu; auch die Uberlebenden mussten schweigen. Offiziell wurden die Speziallager in Ostdeutschland als Umerziehungslager für NS-Verbrecher gerechtfertigt. Während in Westdeutschland Opferverbände entstanden, die die Speziallager als rote Konzentrationslager bekannt machten, erwähnten erstmals 1957 zwei Jamlitzer Bürger das Internierungslager in einer Publikation. Ein offizielles Erinnern und Trauern um die Toten aber war erst mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten möglich. Überlebende wiesen 1990 auf die Lage der Massengräber hin, wodurch im April 1990 erstmals ein Massengrab geöffnet und die gefundenen Gebeine exhumiert werden konnten….
AzraelsReisen steht auch für #gegendasvergessen und #niewieder
Bewegt und erschüttert verliesen wir diesen Ort des Grauens.
Irgendwie befanden wir uns eigentlich immer auf Anreise irgendwohin.
Denn Grund für diese Mammut-Tour war einerseits eine Veranstaltung der Friedhofsflüsterin Anja Kretschmer – Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. V – am 20. August im Plastinarium in Guben.
An dieser Veranstaltung nehmen regelmäßig die „Schwarzfahrer“ mit Ihren Wagen teil, gehört doch Anja mit Ihrer „Leiche“ auch zu uns und wir haben die Möglichkeit unser Fahrzeuge zu präsentieren.
Schließlich geht es uns auch um den Erhalt der Bestattungskultur in Deutschland, zu denen die „klassischen“ Leichenwagen einfach dazugehören – man könnte auch sagen:
Sprinter? – Nein Danke!
Und andererseits das alljährlich an anderen Orten stattfindende Leichenwagentreffen, eine Woche später, diesmal in Rostock.
Was lag also näher, als diese beiden Termine mit einer Rundreise durch den Osten Deutschlands zu verbinden – wobei sich irgendwie zwischen diesen beiden Wochenenden rund 10 Leichenwagen auf einer solchen Rundreise befanden. 😉
Da wir zu zweit, aber mit zwei Fahrzeugen unterwegs waren, konnten wir diesmal Azrael als „Lastesel“ benutzen und unser Wohn-Schlaf-Zimmer in der Lady Leiche einrichten.
Ein Kindersarg?
Ja, Ihr seht richtig – ich hatte mich entschlossen, den Sarg ebenfalls mit auf die Reise zu nehmen. Zwar nicht so offensichtlich, wie hier auf dem Bild, aber er war dabei.
Es sollte einfach so sein…
Da wir mit der Lady Leiche nicht zu lange Strecken fahren wollten, entschlossen wir uns, die Anreise nach Guben (rund 670 km) auf zwei Tage aufzuteilen.
Leipzig bot sich aus mehreren Gründen für uns als Zwischenstopp an, so dass die erste Ettape von Frankfurt nach Leipzig führte.
Auf meinen früheren Fahrten nach Leipzig ist mir immer das große Denkmal am KZ Buchenwald aufgefallen und diesen Ort wollte ich immer mal besuchen.
Was lag da näher als dies auf der Anreise zu tun?
KZ Buchenwald
Alleine die Anfahrt auf der „Blutstraße“ – eine 1938/39 von Häftlingen erbaute 5 km lange Zufahrt durch den Wald zum KZ – machte uns nachdenklich.
War es eine Gute Idee ausgerechnet mit zwei Leichenwagen ein KZ zu besuchen, in dem über 56.000 Menschen ermordet wurden?
Nur aufgrund Ihrer Religion, Ihrer politischen Gesinnung, Ihrer sexuellen Identität, Ihrer Herkunft, Ihrer was auch immer?
JA – denn AzraelsReisen steht auch für #gegendasvergessen und #niewieder
Und letztlich sind wir im Tod alle gleich…
Die schiere Größe der Anlage zeigte uns deutlich vor Augen, dass es bei diesem Kurzbesuch nicht bleiben durfte und wird.
Dies ist kein Ort „im Vorbeigehen“ und wir werden auf jeden Fall wieder hierher zurückkehren – diesmal für mindestens einen ganzen Tag.
Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Bild, ein Raum, gefüllt mit 701 Metallurnen.
Diese Urnen wurden 1997 während Renovierungsarbeiten auf dem Dachboden des Krematoriums gefunden und enthielten noch die Asche von Verstorbenen. Die Asche wurde dann später bei einer Trauerfeier bestattet.
Wer glaubt, dass sich in jeder Urne die Asche eines Menschen befand, unterliegt einem Irrglaube. In der Regel wurde die Asche wahllos auf mehrere Urnen verteilt bzw. War die Asche von mehreren Menschen auf einem Haufen.