Ein Leichenwagen und seine Erlebnisse

Schlagwort: Trauer (Seite 1 von 5)

Darf der das?

Sichtbare Vergänglichkeit

Vergangenes Wochenende war ich mit Azrael wieder im Norden unterwegs.

Und wie immer, wenn ich etwas plane, denke ich immer darüber nach, welche Wirkung meine „Guerilla-Shootings“ auf andere Menschen haben werden.

Schließlich konfrontiere ich sie mit Azrael und so diversen anderen Utensilien mit Ihrer Vergänglichkeit und mit dem Thema Tod.

So wie hier am Strand von Cuxhaven:

Der Deichgraf

Na gut – es gibt auf unserem Planeten mittlerweile genug Kuriositäten, da macht dieser Herr auf dem Laufsteg der Eitelkeiten echt nicht mehr viel Aufsehen…

Doch was wäre gewesen, wenn ich diesen Sarg mitten ins Watt gestellt hätte, anstatt so wie hier auf eine grüne Wiese:

Windspiel

Hier oben war Niemand weit und breit zu sehen, aber am Strand – inmitten von Touristen in Badebekleidung?

Versteckt und unscheinbar

Da gibt es keine Sträucher, kein hohes Gras, kein Gebüsch.

Was hält mich davon zurück, den Sarg nicht einfach inmitten einer Fußgängerzone abzulichten oder auf einer Verkehrsinsel mitten auf einer Kreuzung?

Schließlich findet man dort zum Beispiel auch weiße Fahrräder als Mahnmale für getötete Fahrradfahrer.

Am Ende des Tages

Wäre das Morbide? Respektlos?

Oder ist es Kunst – die ja bekanntlich (fast) alles darf?

Eine Kunstinstallation im öffentlichen Raum. So vergänglich, wie das Leben – ein Hauch des Todes im hektischen Alltag.

Hinauf ins Licht

Für mich ist es alles und nichts davon und gleichzeitig Ausdruck meiner Trauer, zum Teil ein Stück Verarbeitung und noch so viel mehr.

Und eines steht fest – dies war mit Sicherheit nicht das letzte Mal.

Wie denkt Ihr darüber?

25 Jahre

Dünnhäutig

Dieses Jahr ist die Trauer wieder ganz nah, eine dünne Schicht liegt zwischen mir und dieser überbordenden Gefühlswelt, die mich droht in einem Sog zu verschlingen.

Warum ist das so? frage ich mich und gehe, typisch männlich, sofort in die Analyse.

Das lenkt ab, das schützt mich, damit kann ich eine Schutzblase um mich bilden, in der ich nicht jeden Moment damit rechnen muss, das diese Gefühle aus meinen Augen quellen und langsam als nasse, salzige Tränen an meinen Wangen herunterrinnen.

In Trauer baden

Ja, dieses Jahr ist es „schlimmer“, doch es ist gut so!

Schließlich sind 25 Jahre eine verdammt lange Zeit. 25 Jahre sind seit damals vergangen und morgen ist es soweit…

Morgen wäre er – NEIN – IST er 25 Jahre alt!

25 Jahre, in denen die Trauer immer da war, diese Fragen, was wäre gewesen wenn…

Und doch ist es diesmal anders – ich WILL in Trauer baden, ich lasse die Trauer zu, ich lebe mit und in ihr!

Ich weiß nicht, wie ich den heutigen Abend verbringen werde oder was ich morgen tun werde – sicher gehe ich ans Grab, doch das ist kein „Muss“, es ist ein „Kann“, ein „Wollen“.

Wahrscheinlich werde ich ein Glas Whisky auf und wer weiß, mit Ihm trinken – vielleicht gehe ich heute Nacht auf den Friedhof und erhebe um 12 Uhr das Glas an seinem Grab…

Ich werde eine Kerze anzünden, ein Licht in dunkler Nacht.

Komm großer schwarzer Vogel

Auf jeden Fall werde ich Musik hören:

You’ll never walk alone & Steh auf, wenn du am Boden bist

von den Toten Hosen.

Laut, richtig laut und noch etwas werde ich hören:

Ja, i werd‘ singen,
I werd‘ lachen,
I werd‘ „des gibt’s net“ schrei’n
I werd‘ endlich kapier’n
I werd‘ endlich glücklich sein!

I werd‘ singen
I werd‘ lachen
I werd‘ „des gibt’s net“ schrei’n
I werd endlich kapier’n
I werd‘ endlich glücklich sein!

aus „Komm großer schwarzer Vogel „von Ludwig Hirsch

Ich habe meinen Frieden mit Ihm geschlossen und ich habe meine Trauer akzeptiert – deswegen werde ich Feiern und Traurig sein – in einem Moment.

Denn ich Liebe Ihn, meinen Sohn, den ich vor 25 Jahren das erste Mal in den Armen halten durfte, nur um ihn gleich darauf wieder hergeben zu müssen.

Komm großer schwarzer Vogel
Komm großer schwarzer Vogel

Ich werde Trauern, mit Liebe im Herzen.

Und es ist gut so.

An all jene, die sich Fragen, ob es denn irgendwann mal „genug“ sein wird:

Nein, wird es nicht!

Es wird anders, es wird irgendwann nicht mehr so präsent sein, es wird jedoch immer da sein – egal wieviel Zeit vergangen ist.

Und das ist OK, Eure Trauer ist OK, lasst Sie zu, lebt Sie aus, lebt mit Ihr!

MÄNNER TRAUERN ANDERS

Aber Sie tun es!

Ach ja, Männer, wie beschreibt Herbert Grönemeyer diese besondere Erscheinungsform „Mensch“:

„Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht

Außen hart und innen ganz weich

Werd’n als Kind schon auf Mann geeicht

Wann ist ein Mann ein Mann?“

Herbert Grönemeyer, Männer (1984)

Sind das tatsächlich Klischees oder ist da was dran – an dem „Männer weinen heimlich“?

Thomas Achenbach, zertifizierter Trauerbegleiter, erzählt und beschreibt sehr plastisch in diesem Buch, wie das ist, wenn Männer trauern – oft unsichtbar, alleine, im Stillen.

An verschiedenen Stellen musste ich schlucken, an anderen hatte ich Tränen in den Augen und immer wieder musste ich lächeln.

Über mich, über uns „Männer“ – wie „schwer“ wir es uns doch machen und wie typisch „männlich“ wir auch bei diesem Thema sind.

Doch das ist nur eine Facette dieses Buches über ein ernstes Thema, welches jeden von uns betreffen wird, denn der Tod wird uns irgendwann in unserem Leben begegnen.

Überfordert mit der Trauer

Und dann ist sie da – die Trauer – eine ganz normale Sache, wenn wir und wenn unsere Gesellschaft sie als etwas ganz natürliches akzeptieren würde – tun wir aber nicht.

Gerade für uns Männer ist der Tod – diese unkontrollierbare Konstante im Leben – ein Schlag in die Magengrube. Der Tod schert sich einen Dreck um unsere Pläne, unsere Ziele und beraubt uns der vermeintlichen Kontrolle über unser Leben.

Und zu allem Überdruss werden wir mit Gefühlen konfrontiert, die in Ihrer Intensität und Plötzlichkeit alles ins Wanken bringen. Wir sind im wahrsten Sinne überfordert damit.

Also versuchen wir mit allen Mitteln wieder Kontrolle zu erlangen, die Situation zu beherrschen, unser Leben in den Griff zu bekommen.

Und lassen der Trauer keinen Raum.

2020 starben über 9.000 Menschen durch Suizid – 75% von diesen 9.000 waren Männer.

Trauer ist normal

Wir, unsere Gesellschaft und insbesondere Wir Männer müssen Trauer zu etwas ganz normalem, etwas alltäglichem machen. Und wir Männer müssen aufhören, heimlich zu weinen.

Wir müssen lernen, unseren Gefühlen, unserer Trauer Raum und Zeit zu geben und unsere Gesellschaft muss diesen Gefühlen genauso Raum und Zeit einräumen.

Wenn ich mit Azrael unterwegs bin, bekomme ich immer wieder vor Augen geführt, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Tod und Trauer umgeht.

Mein Sohn ist 1997 gestorben, vor 25 Jahren und dennoch sind mir solche Momente, wie unten beschrieben, auch heute noch, nicht fremd.

Thomas Achenbach tut genau das in seinem Buch – Trauer als einen ganz normalen Prozess zu beschreiben. Und das dieser Prozess seine, ganz individuelle Zeit braucht – denn jede Trauer ist anders und es gibt nicht das Eine Rezept.

Das Buch ist kein Ratgeber ala Trauerbewältigung in 30 Tagen – es ist ein sehr fundiertes Buch, welches hilft, trauernde Männer besser zu verstehen und zu begleiten.

Nicht mehr, aber vor allem nicht weniger.

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